04 April 2022
Wissenschaftsgeschichtliche Beiträge zum 19.-21. Jahrhundert, von Thomas Kaufmann.
Anhand wissenschaftsgeschichtlicher Schlüsselkonstellationen des 19. und 20. Jahrhunderts thematisiert Thomas Kaufmann spezifische Aneignungen Luthers und der Reformation, an denen deutlich wird, dass und inwiefern sich der Protestantismus in unterschiedlichen Phasen seiner neuzeitlichen Geschichte im Verhältnis zu den reformatorischen Entwicklungen des 16. Jahrhunderts verstanden und gedeutet hat. Das Verständnis Luthers und der Reformation erweist sich vielfach als ein wichtiger Indikator für das theologische Selbstverständnis einer bestimmten historischen Etappe. Die enge Verbindung der hier vorgestellten Aneignungen etwa auch mit politischen Entwicklungen wird im Kaiserreich, aber auch in der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus deutlich. Einzelne exponierte Repräsentanten der Kirchengeschichtsschreibung wie Adolf von Harnack, Reinhold oder Erich Seeberg, Heinrich Bornkamm oder Ernst Bizer werden in Einzelanalysen vorgestellt. In Bezug auf die frühe Nachkriegszeit und die Entwicklung der Reformationsgeschichtsschreibung in Westdeutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik erweist sich die Systemkonkurrenz als ein eminent stimulierender Faktor der Forschung. In der aktuellen internationalen Forschung droht der Verlust eines einheitlichen Konzepts von Reformation; dem tritt Thomas Kaufmann mit einem Gegenkonzept entgegen, dass die unabweisbare Bedeutung Luthers und der Auseinandersetzung um ihn im Kontext der europäischen Diskussionen des früheren 16. Jahrhunderts aufweist. Eine nachdrücklich zurückgewiesene Konsequenz der neueren Forschungsdiskussion besteht darin, den Epochencharakter der Reformation infrage zu stellen.